18. Oktober 2024

Erinnerungssplitter (2)

von Heike Trapp

Mauerstück

[Foto: Silke Meyer, 2024]

 

Nachdenken gegen die Zeit, gegen das Vergessen
Nach-Denken bedeutet, dass im Nachhinein das Vergangene anders erscheint.
Was ich erinnere, nicht frei von Verschönern…

 

8. Oktober 1989

Ich gehe in die Michaeliskirche zur Zusammenkunft des Neuen Forums, für deren Zulassung ich im September Unterschriften in Leipzig gesammelt habe. Wir haben alle Sorge, dass die Kirche von der Polizei umstellt wird und wir nach dem Verlassen der Kirche verhaftet werden. Ängste, Ängste… Wir Mütter haben für diesen Fall vorsorglich unsere Kinder in die Obhut von Familie oder Freunden gegeben.

 

9. Oktober 1989

Mein damaliger Mann war mit unserer Ausreise, wir hatten einen Ausreiseantrag gestellt, beschäftigt. Er durfte in den Westen reisen, hatte ein Dauervisum, weil eine seiner Töchter ein amtsärztliches Attest eines Westberliner Arztes besorgt hatte, dass sie psychisch nicht in der Lage war, sich um ihre kleinen Töchter zu kümmern und dafür ihren Vater brauchte – ein vorgeschobener Grund, damit wir einen Ausreiseantrag aus familiären Gründen stellen konnten. Wir hatten kurz zuvor noch fix geheiratet. Ich mußte mit nach Ostberlin, weil mein Personalausweis in Westberlin benötigt wurde. In Leipzig ohne Personalausweis herumzulaufen, bedeutete "Verwahrung" in dieser angespannten Zeit. An dem Übergang Sonnenallee wartete ich und ging auf und ab. Meine Gedanken: Wie absurd, wie surreal ist das. Ich wollte doch lieber in Leipzig sein und an dieser wichtigen Demo teilnehmen. Bei unserer Rückreise wurden wir abends am Ortseingang Leipzig kontrolliert. Es kamen nur Leipzig-Anwohner in die Stadt. Für die Demo war es zu spät.