27. Oktober 2024

Erinnerungssplitter (3)

von Heike Trapp

Mauerstück

[Foto: Silke Meyer, 2024]

 

Nachdenken gegen die Zeit, gegen das Vergessen
Nach-Denken bedeutet, dass im Nachhinein das Vergangene anders erscheint.
Was ich erinnere, nicht frei von Verschönern…

 

9. November 1989

Ich bin Federball spielen mit P., A. und W. vom Folkclub – Kinder-AG. Als ich kurz vor den Tagesthemen nach Hause komme, wird mir erzählt: "Deine Freundin C. hat angerufen. Sie will sich mit dir in Westberlin treffen." Ich: "Die lassen mich nicht rüber." Hatte versucht, zum 70. Geburtstag eines Onkels nach Schleswig-Holstein zu fahren. Da wurde mir gesagt: "Wie können Sie es wagen, eine Reise in ein Land zu beantragen, in welchem ein Bundeskanzler Kohl regiert. Sie dürfen nicht." Obwohl ich 2 kleine Töchter als Pfand in der DDR gelassen hätte…

„Die Mauer ist auf.“

 

10. November 1989

Man musste sich im Rathaus Wahren, unser Bezirk, einen Stempel in den Reisepass abholen, um über die innerdeutsche Grenze zu reisen. Ich stehe draußen in einer Riesenschlange mit anderen Besuchswilligen. Es ist klirrend kalt. Wartezeit: 2,5 Stunden. Schlange stehen waren wir gewöhnt. Eine Lady in meiner Reihe: "Ich koche jetzt eine Thermoskanne Kaffee für uns. Halten Sie meinen Platz besetzt." Gesagt, getan. Ein anderer hat ein Kofferradio dabei und hält uns mit den neuesten Nachrichten auf dem Laufenden. Wir haben die Hoffnung, dass wir vielleicht gar keinen Stempel mehr brauchen. Dem ist nicht so. Eine große Verbundenheit herrscht unter uns, gemeinsames Frieren-Leid ist halbes Leid. Als ich endlich dran bin und der Stempel in meinem Pass ist, ramme ich vor Zittern eine Mülltonne beim Ausparken; Schramme am schönen Wartburg.

Gegen 23 Uhr kommen wir auf dem Kudamm an. Mein erster Gedanke: "Das haben sie uns all' die Jahre vorenthalten? Wozu? Warum?" Die Glitzerwelt beeindruckt mich nicht. Ich laufe den Kudamm auf und ab und schaue neugierig. Die Sirenen von Krankenwagen und Polizei war ich so laut nicht gewöhnt; sie erschrecken mich sehr.

Die Demos im Oktober/November in Leipzig: Was wir uns wünschen, geht in Erfüllung.

 

11. November 1989

In meinem Briefkasten liegt ein Brief vom "Büro für innere Angelegenheiten" mit einem Termin für meine Töchter und mich zur Bewilligung der Ausreise und Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft für den 14. November 1989.

 

14. November 1989

Ich fahre zum Rathaus in Leipzig. Eine Lady mit Eisesmiene empfängt mich und legt mir drei Formulare zur Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft für meine Töchter und mich zum Unterschreiben vor. Ich lehne ab. Darauf sie: "Sie müssen ja wissen, was Sie tun."